Austausch statt Netzwerken – Beziehungen in der Wissenschaft neu denken

Menschen in Anzügen und Kleidern, die sich in einem Pausenraum unterhalten, im Vordergrund ein Glastisch mit einer Kaffeetasse darauf.

Eine meiner größten Sorgen zu Beginn meiner Promotion war, ein nicht ausreichendes ‚Netzwerk‘ zu besitzen, das mir den nötigen Rückhalt bei Stellensuche, Publikationen und Einreichungen für Tagungsvorträge geben würde. Immer wieder ist mir eingetrichtert worden, dass „Vitamin B“, also Beziehungen zu möglichst einflussreichen Personen, der Schlüssel zu einer aussichtsreichen akademischen Laufbahn sind. Essenziell für solche Beziehungen: Netzwerken. Unter ‚Netzwerken‘ wird zumeist strategische Kontaktaufnahme gefasst, zum Beispiel bei Tagungen, in Kolloquien oder zwischen Tür und Angel im Uni-Flur. Promovierenden werden diesbezüglich immer wieder Tipps gegeben – unter anderem in vielen Tagungen vorgeschalteten ‚Nachwuchsworkshops‘ oder in Doktorand*innenkolloquien. Scheinbar naiv bin ich, nach Abschluss meines Masters, davon ausgegangen, inzwischen genug zwischenmenschliche Kompetenz zu besitzen, um mit anderen Wissenschaftler*innen – ja, auch denen aus höheren Statusgruppen – in den Dialog zu treten, aber da habe ich mich wohl geirrt. Ich will nicht bestreiten, dass es, wie in jedem anderen Arbeitsbereich auch, Spezialist*innen gibt, die auf gewisse Umgangsformen bestehen – aber das ist meiner Erfahrung nach eher die Ausnahme als die Regel. Das stetige Betonen der Wichtigkeit des Netzwerkens und die diversen ‚Anleitungen‘ dafür, die ich schon erhalten habe, haben dazu geführt, dass ich mich verstärkt unter Druck gesetzt habe. Scherzhaft habe ich im Gespräch mit Kolleg*innen aus meinem engen Umfeld behauptet, ich sei wohl „einfach nicht der Typ für’s Netzwerken“ und könne „nicht so aus mir rauskommen“ wie andere – was ein Bullshit. Im Rückblick kann ich sagen: so funktioniert Netzwerken (für mich) nicht. Und ich möchte in diesem Beitrag dafür plädieren, diesen Begriff mit anderer Bedeutung und weniger Druck zu versehen.

Beziehungen – oder: ein Wettrennen um individuelle Vorteile

Kontakte, Beziehungen, „Vitamin B“: egal, wie man es bezeichnet, schlussendlich möchte ich die Bedeutung des Aufeinander Zugehens nicht unterschlagen. Natürlich kann es einen positiven Eindruck hinterlassen, wenn ich mich auf eine Stelle bewerbe und der ausschreibenden Person bereits bekannt bin, mich vielleicht mit ihr auf einer Tagung über Thema XY ausgetauscht habe. Ich betone hier das Wort „kann“, denn besagte Person hat an dem Tag sehr wahrscheinlich noch zahlreiche andere Gespräche geführt, meine Interaktion ist also kein Garant dafür, dass sie sich an mich erinnert. Selbst wenn sie das aber tun würde: Stellenbesetzungsverfahren sind komplexe und oftmals für Bewerbende höchst intransparente Vorgänge. Es ist kein Geheimnis, dass viele Posten mit internen Kandidat*innen besetzt werden, die schon vor Ausschreibung feststehen. Hier hilft das Gespräch dann auch nicht mehr, so gut der vermeintliche Eindruck auch gewesen sein mag. In diesem Fall ist es schlicht Glück der am Ende ausgewählten Person, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein (qualifiziert für den Job sind vermutlich alle). Persönliche Beziehungen können Einfluss haben, sind aber definitiv keine Garantie für ein positives Ergebnis.

Meiner Ansicht nach verschiebt das stetige Betonen des ‚Netzwerkens‘ die Verantwortung über den Erfolg der eigenen Karriere auf die einzelnen Wissenschaftler*innen. Zumeist bleibt unklar, mit welchen Personen man sich gut stellen sollte, um weiterzukommen, es werden lediglich Hinweise gegeben, wie eine korrekte Ansprache aussehen könnte. Herauszufinden, wen man kennen muss, ist dann, ähnlich wie das Wissenschaftssystem selbst, ein Glücksspiel, für das man ebenso schon „Vitamin B“, also hilfsbereite Kolleg*innen benötigt, die die internen ‚Codes‘ bereits geknackt haben. Wer es dann nicht schafft, sich im Kreis dieser Personen zu etablieren, der hat es wohl einfach nicht genug gewollt. So wird, gerade für Promovierende, jede Tagung, jedes Kolloquium, jeder Workshop zur Bühne, auf der man sich von seiner besten Seite zeigen möchte, obgleich man vielleicht eigentlich ‚nur‘ als Zuhörer*in oder als organisatorische Unterstützung vor Ort ist. Aus meiner Sicht werden nicht nur falsche Erwartungen an das ‚Netzwerken‘ geknüpft, sondern derartige Kontaktaufnahme darüber hinaus auf ihren Nutzen reduziert. Ich würde behaupten, dass die angesprochenen Personen durchaus merken, wenn das Gegenüber das Gespräch vor allem deshalb gesucht hat, um sich selbst zu präsentieren. Solche strategischen Kontaktaufnahmen machen den eigentlichen Sinn wissenschaftlicher Zusammenkünfte (Tagungen/Workshops/Kolloquien, usw.) völlig zunichte. In Gesprächen mit Promovierenden merke ich immer wieder, dass die Sorge vor diesen ‚Events‘ nicht in erster Linie die ist, dem Ganzen fachlich nicht gewachsen zu sein, sondern eher, sich selbst nicht im besten Licht dargestellt oder nicht mit den ‚richtigen‘ Leuten gesprochen zu haben. Diese Bedenken habe ich zu Beginn meiner Promotion durchaus auch gehabt und würde nicht behaupten, dass sie ganz verschwunden sind. Mir ist klar, dass insbesondere Tagungen auch eine Art ‚Schaulaufen‘ darstellen und ich bin nicht naiv genug, um zu glauben, dass sich das in näherer Zukunft grundlegend ändert. Daher formuliere ich es als Wunsch: ich würde mir wünschen, dass wir alle – insbesondere aber Wissenschaftler*innen höherer Statusgruppen – davon wegkommen, ‚Netzwerken‘ als einen wesentlichen Faktor für den Aufstieg auf der Karriereleiter zu überhöhen. Stattdessen würde ich mir wünschen, dass gerade Promovierende nicht vermittelt bekommen, sie müssten spezifische Verhaltensregeln für wissenschaftliche Dialoge erlernen, um ihre Chancen auf Stelle XY oder die nächste Publikation zu verbessern. An dieser Stelle möchte ich zu bedenken geben, dass Nachwuchsworkshops an sich eine gute Idee sind, da sie Promovierende zusammenführen und zum ungezwungenen Kennenlernen beitragen – auf der anderen Seite meiner Erfahrung nach aber auch dazu führen können, dass Promovierende im Anschluss eher abseits der eigentlichen Veranstaltung stehen und je nach Format wenig Austausch möglich ist.

Trotzdem möchte ich betonen: liebe Promovierende, es ist völlig okay, wenn ihr euch bei Tagungen hauptsächlich mit anderen Promovierenden unterhaltet und die meiste Zeit zusammensitzt. Das habe ich, vor allem zu Beginn, auch so gemacht. Entspannt euch, lernt nette Menschen kennen, tauscht euch über die Freuden und Leiden eurer Arbeit aus und habt Spaß. Redet euch nicht ein und lasst euch nicht einreden, dass diese Veranstaltungen die einzigen Möglichkeiten wären, um in der wissenschaftlichen Gemeinschaft Anschluss zu finden. Andere Promovierende sind euer Anschluss. Alles andere ergibt sich, versprochen.

Austausch statt Netzwerken

Seitdem ich meinen Podcast gestartet habe und durch die inzwischen sieben Monate Distanz zum Wissenschaftssystem habe ich viel über das Thema ‚Netzwerken‘ nachgedacht. Ich möchte mich hier weder als special snowflake darstellen noch das ganze System verurteilen, denn ich weiß, dass es da draußen Wissenschaftler*innen gibt, die nicht erwarten, dass man sie aufgrund ihres Titels anders behandelt und nicht in erster Linie mit anderen Wissenschaftler*innen sprechen, weil sie sich davon irgendeinen Vorteil erhoffen. Mit einigen von ihnen habe ich bereits Podcast-Folgen aufgenommen. Stattdessen möchte ich dafür plädieren, dass wir unsere Wahrnehmung von ‚Kontakten‘ und das, was wir an zukünftige Wissenschaftler*innen davon weitergeben, reflektieren. Denn ich kann zumindest für mich sprechen, wenn ich sage: vieles davon hält sich hartnäckig. Auf Menschen zuzugehen bezüglich potenzieller Podcast-Folgen ist für mich, dank meines vorigen Social-Media-Austauschs, zum Glück nicht mehr so eine große Hürde gewesen und dennoch habe ich mir anfangs, als die ersten positiven Rückmeldungen kamen, jedes Mal kurz gedacht: „Krass, der*die will wirklich mit MIR sprechen?!“ Mittlerweile denke ich mir: wieso nicht? Ehrlicher, offener und statusübergreifender Austausch ist so viel wert. Natürlich ist mir bewusst, dass ich zum Teil von der Reichweite der Menschen, mit denen ich spreche, profitiere – und andersherum Menschen eine Bühne gebe. Der Unterschied zum ‚Netzwerken‘ ist hierbei für mich, dass das nicht im Fokus steht. Ich spreche mit den Menschen, weil mich ihre Perspektive interessiert, weil sie spannende Forschung betreiben und mit ihren Einblicken in das Wissenschaftssystem im besten Fall anderen helfen, eine bewusste Entscheidung für oder gegen einen akademischen Weg zu treffen. Ich möchte diesen Menschen eine Bühne geben. Übertragen auf wissenschaftliche Veranstaltungen würde ich mir, so naiv das vielleicht für manche klingen mag, wünschen, dass wir irgendwann an einen Punkt kommen, an dem diese Form von ehrlichem, interessiertem Austausch überwiegt. An dem Promovierende ganz selbstverständlich einbezogen werden, weil sie gute Ideen und neue Perspektiven mitbringen (ja, wir erzählen auch manchmal Quatsch, aber – sorry to say – davor schützt ehrlicherweise auch kein Titel). An dem nicht unter der Hand darüber philosophiert wird, welche Personen am einflussreichsten in Verfahren XY sein könnten und was man bei Tagung XY am besten wie zu ihnen sagt. Kurzum: an einen Punkt, an dem wir das Konzept ‚Netzwerken‘ umdeuten und uns in erster Linie auf das konzentrieren, was Wissenschaft ausmacht: Diskussionen, Fragen stellen, Lernen.

Ich glaube nicht, dass es dafür unbedingt eine Reform des Wissenschaftssystems braucht, jedoch würde diese enorm dabei helfen, dass (statusübergreifende) Solidarität, Transparenz und echter Austausch mit weniger Krafteinsatz verstärkt Einzug in dieses hochkompetitive Arbeitsfeld finden. In den Gesprächen der letzten Monate haben mir so viele Menschen, insbesondere Promovierende, gesagt, dass sie gerade diese Elemente im Wissenschaftssystem vermissen. Ich weiß, dass es da draußen ganz viele Menschen mit und ohne Titel gibt, die das ähnlich sehen und ihr Bestes tun, für mehr echten Austausch in ihrem Umfeld zu sorgen. Mein Wunsch ist, dass wir irgendwann dahin kommen, dass dieser flächendeckend zur Regel wird. Denn mein Eindruck ist, dass wir da noch nicht sind.