Das Studium ist ein seltsames Stadium. Einerseits ist man offiziell „erwachsen“ – was auch immer das bedeuten soll – und bekommt in meinem Fall schon von Lehrkräften in der Schule eingetrichtert, man solle bloß nicht erwarten, dass einem mit Erhalt des Abschlusszeugnisses noch irgendetwas hinterhergetragen würde. Andererseits fängt das erste Semester schon mit zahlreichen Vorgaben und, wer hätte das ahnen können, Hilfestellungen an und obgleich man gesiezt wird und der Workload das Lernen fürs Abitur doch spürbar übersteigt, ist man weiterhin Lernende*r. Das Studium bereitet nicht nur auf das Berufsleben vor, sondern bietet Menschen wie mir, die nach dem Abi keinen blassen Schimmer von der Welt haben und davon, wer sie eigentlich sind, Raum, sich kennenzulernen, Neues auszuprobieren und die eigenen Stärken herauszukristallisieren.
Siebeneinhalb Jahre später sitze ich hier und kenne beide Seiten: die der Studierenden und die der Lehrkraft. Und ich fange langsam an zu verstehen, wieso die Erwartungen an Studierende zwischen diesen beiden Gruppen (den Studierenden und den Lehrenden) teils weit auseinandergehen können. Das führt zu Frust – wenn Seminare nicht laufen, wie sie sollen, wenn Studierende mit ihren Bedürfnissen anecken oder Lehrende in Gremien sitzen und merken, dass sie nicht die Ressourcen haben, um die Studierenden so zu unterstützen, wie sie es eigentlich brauchen würden. Eine ultimative Lösung gibt es dafür nicht. Dennoch ist meine Hoffnung, dass wir mit verstärkter Transparenz, Menschlichkeit und ja, auch Verletzlichkeit, auf beiden Seiten alle dazu beitragen können, die Beziehung zwischen Studierenden und Lehrenden zu verbessern. Die folgenden Schilderungen basieren auf meinen persönlichen Erfahrungen.
Grenzen und Ressourcen ehrlich kommunizieren.
Als Studentin habe ich mich oft über vermeintlich „unkreative“ Lehrveranstaltungen aufgeregt, in denen die Lehrkraft das Material aus vergangenen Semestern einfach neu hochgeladen hat und ich zum Teil Kurse doppelt wählen musste, weil es keine Alternativen gab. Oder ich war genervt, wenn ein Seminar schon wieder aus studentischen Moderationen bestand, die für mich eher Hindernis waren als hilfreich und ich der Lehrkraft zumindest gedanklich vorgeworfen habe, sich das Leben „leicht zu machen“. Heute höre ich diese Beschwerden immer noch von Studierenden und ich kann es ihnen erst einmal nicht verübeln. Nach zwei Jahren Arbeit als Dozentin weiß ich jedoch, dass man leicht über Lehrende schimpfen kann, die Situation zumeist aber vielschichtiger ist. Damit möchte ich nicht sagen, dass es nicht auch die ein oder andere „unkreative“ Veranstaltung gibt – meiner Meinung nach muss auch nicht jedes Seminar besonders kreativ sein (ich persönlich bin beispielsweise auch ein großer Fan von Diskussionsseminaren) – aber ich möchte meinem Vergangenheits-Studi-Ich und anderen Studierenden da draußen gerne erklären, wieso die Dinge manchmal so sind, wie sie sind. Denn ich würde jetzt einfach mal pauschalisierend behaupten, dass Dozent*innen in den wenigsten Fällen ein Interesse daran haben, es den Studierenden schwer zu machen.
Vorab möchte ich direkt eins klarstellen: Lehre und das Unterrichten im Allgemeinen hat im Wissenschaftssystem einen eher geringen Stellenwert. Das bedeutet: Wissenschaftler*innen bekommen in der Regel wenig Anerkennung dafür, wenn sie besonders kreative oder außergewöhnliche Lehrformate ins Leben rufen oder sich generell viel Mühe mit ihren Veranstaltungen machen. Es gibt den ein oder anderen Lehrpreis, aber in der Regel können wir uns in erster Linie über individuelle Rückmeldungen der Studierenden freuen – also das, was in Evaluationen steht oder was uns vielleicht auch persönlich gesagt wird (was ich hiermit nicht abwerten möchte! Ich freue mich jedes Mal riesig über solches Feedback, ich möchte lediglich darauf hinaus, dass davon abgesehen unsere Arbeit wenig „gesehen“ wird). Außerdem gibt es wenig Budget für die Lehre: Bestrebungen hinsichtlich Digitalisierung oder Praxisbezügen sind häufig projektgebunden – also befristet finanziert. Ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung: im Sommersemester 2023 habe ich in einem Praxisseminar gemeinsam mit Studierenden einen digitalen Escape Room aufgebaut. Dafür habe ich Fördermittel beantragt (und bewilligt bekommen). Doch bei diesen Fördermitteln handelt es sich in meinem Fall nicht um große Summen, sondern um eine Vergütung von knapp über 1000 Euro, die lediglich meine Lehrstunden finanziert hat (also die Tatsache, dass ich überhaupt die Dozentin sein konnte). Ich möchte nicht undankbar klingen, weil ich das nicht bin, jedoch hatte ich für das eigentliche Projekt keinen Cent an Budget zur Verfügung. Heißt, ich habe beispielsweise „Werbematerial“ (also u.a. kleine Visitenkarten) selbst hergestellt – und meine Studierenden haben ebenfalls privat dafür gesorgt, dass wir für eine Projektvorstellung Spielmaterial hatten. Ja, wir hätten sicher auch irgendwie improvisieren und umstrukturieren können – aber ganz ohne unseren Einsatz wäre das Projekt nicht zu dem geworden, was es heute ist. Schlussendlich ist die Förderlinie nach dem Semester ausgelaufen und auch wenn seitens der Uni Interesse daran bestand, dass ich den Escape Room (und damit die digitale Lehre) weiter ausbaue, so musste ich das aufgrund der fehlenden Vergütung für meine Lehrstunden ablehnen. Hinzu kommt: wenn Wissenschaftler*innen auf (eng) befristeten Verträgen sitzen, dann ist es schwer, Projektveranstaltungen oder selbst aufeinander aufbauende Seminare anzubieten, weil nicht klar ist, wie lange man an der Uni noch angestellt sein wird. Für uns ist das mindestens genauso frustrierend wie für die Studierenden, denen wir gerne mehr bieten würden.
Es sind aber nicht nur die besonders aufwendigen Veranstaltungen. Allein für ausführliche Rückmeldungen zu Prüfungen, methodisch vielfältige Seminarsitzungen oder das Anbieten hybrider Veranstaltungen lassen gerade Hochdeputatsstellen oft keinen Raum. Dazu kommt dann oft noch Forschungs- bzw. Publikationsdruck, Gremienarbeit und ja, irgendwie auch noch das Privatleben. In meinem Kolleg*innen-Umfeld sind die wenigsten topfit. Stattdessen wird immer mehr über Stress, Überlastung und Burnout gesprochen. Körperliche wie psychische Symptome sind an der Tagesordnung und das Traurige ist: wir wissen, dass es in der Studierendenschaft nicht unbedingt anders aussieht. Diese Erkenntnis macht jetzt erstmal nichts besser. Aber: ich bin davon überzeugt, dass einerseits Studierende wissen sollten, warum Lehre an vielen Stellen nicht so funktioniert, wie auch wir Lehrenden uns das wünschen würden. Andererseits glaube ich, dass es uns Dozent*innen einiges an Druck nimmt, wenn wir offener kommunizieren, welchen systemischen Zwängen wir unterliegen. Natürlich hatte ich ein schlechtes Gewissen, als ich in meinen Seminaren kommuniziert habe, dass die Hausarbeiten früher abgegeben werden müssen (weil mein Vertrag endet). Ich weiß ja selbst, dass Hausarbeiten Zeit brauchen. Doch die Studierenden haben mir sehr viel Verständnis entgegengebracht und ihre Pläne dementsprechend angepasst. Das schafft Vertrauen und Offenheit auf beiden Seiten.
„Ich bin genauso müde wie Sie“ – für mehr Menschlichkeit in der Lehre
Anfangs hatte ich in meinen Seminaren das Gefühl, mich beweisen zu müssen. Keine Fehler machen, immer vorbereitet sein, Antworten parat haben, fit und schlagfertig sein. Erst, nachdem ein bisschen Zeit vergangen war, ist mir bewusst geworden, dass mir das eigentlich viel zu anstrengend ist und ich viel lieber eine Dozentin sein möchte, die über sich lachen kann, die zugibt, wenn sie keine Ahnung hat und den Studierenden auf Augenhöhe begegnet. Für mich hat das nicht bedeutet, mein Lehrkonzept grundlegend zu ändern. Stattdessen habe ich kleine Dinge verändert und beispielsweise immer mal wieder Bemerkungen einfließen lassen, die den Studierenden signalisieren sollten: „Hey, ich bin übrigens ein Mensch! Kein akademischer Roboter.“ Wahrscheinlich sind diese Aussagen den Studierenden ab und an gar nicht so aufgefallen, aber ich habe doch die ein oder andere Rückmeldung dazu bekommen. Beispiel: ich hatte ein Seminar Ende der Woche früh morgens – eine Frechheit, wenn ihr mich fragt, aber es ging nicht anders. Dementsprechend müde waren wir alle – an manchen Tagen habe ich schon beim Reinkommen gemerkt: „Heute ist es besonders schlimm.“ Anstatt also meine eigene Müdigkeit zu überspielen, habe ich sie ganz kurz zum Thema gemacht – meistens in einem Satz während der Begrüßung: „Ich bin heute genauso müde wie Sie“. Das hat für ein träges Lachen gesorgt und ein bisschen das Eis gebrochen. Übrigens: das bedeutet nicht, dass die Sitzung danach top gelaufen ist – aber ich habe gemerkt, wie es ein bisschen den Druck rausgenommen hat.
Anderes Beispiel: Die Situation, dass 25 Studierende vor einem sitzen und einen anschweigen, kennt jede Lehrkraft. Man stellt eine Frage – keine Antwort. Man stellt die Frage noch einmal etwas leichter – Stille. Das passiert und kann viele Gründe haben. Ich möchte hier keine*n Schuldige*n suchen, denn ich glaube gar nicht, dass es unbedingt eine*n gibt. Manchmal ist einfach die Luft raus oder niemand traut sich als Erste*r, etwas zu sagen. Ja, manchmal stellt man auch einfach eine Frage, die niemand versteht – passiert. Alles völlig okay. Mir ist trotzdem wichtig zu sagen, dass auch ich unterschätzt habe, dass es einen nicht unerheblichen Unterschied machen kann, Studierenden immer wieder zu verklickern, dass ihre Perspektive wirklich gewollt ist. Wenn ich an meine Studienanfangszeit denke, dann hatte ich viele Unsicherheiten noch aus der Schule und habe mich immer gefragt, was jetzt wohl die passende Antwort ist, die die Lehrkraft hören möchte. Doch die gibt es oftmals – gerade in einem geisteswissenschaftlichen Bereich wie meinem – gar nicht. Wenn ich mit Studierenden in die Diskussion gegangen bin, dann habe ich gehofft, dass wir unterschiedlicher Ansicht sind. Das war das Ziel. Und ich habe den Eindruck, dass diese tiefsitzende Verunsicherung aus der Schule das Studium vieler Studierender lange prägt. Ich kann nur für mich sprechen, aber ich als Studentin habe diese wiederkehrende Bestätigung gebraucht. Es hört sich erstmal albern an, aber ich habe noch nie so viel motiviert und gelobt wie in den zwei Jahren als Lehrende. Und das nicht einfach so – sondern weil ich jede*n Studierende*n darin bestärken wollte, weiterzumachen, sich zu beteiligen und den Mut zu haben, die eigene Position zur Diskussion zu stellen. Denn das kann man nicht von heute auf morgen, das ist etwas, was mir zumindest die Uni erst beibringen musste.
Das bringt mich zu meinem (für heute) letzten Punkt: die Frage nach dem Sinn.
Liebesroman statt Hartmann von Aue? Lebensrealitäten mit Lehre verbinden
Wenn man sich (m)einen Seminarplan aus meinem letzten Lehrsemester so anschaut, würde man zwar erkennen, dass es sich um ein mediävistisches Seminar handelt, aber bei der Anzahl an epochenfremden Texten vermutlich auch verwundert sein. Anfangs war es mir besonders wichtig, meine Veranstaltungen so zu konzipieren, dass die Studierenden einen möglichst umfassenden Einblick in den Roman oder die Gattung erhalten, die betrachtet wurde. Das war mir hinterher auch nicht weniger wichtig, aber mein Fokus hat sich etwas verschoben. Ich kann die Studierenden durchaus verstehen, die daran interessiert sind, dass ihre Lebensrealität etwas mehr berücksichtig wird – denn das ist durchaus möglich, auch in einem Fach wie der Mediävistik. Und dieser Wunsch kommt auch nicht einfach daher, dass das Interesse für das eigentliche Themengebiet nicht vorhanden ist – sondern vielmehr dadurch motiviert, dass die Studierenden sich dadurch komplexe Inhalte leichter aneignen können und zugleich aber auch die Komplexität steigern können, in dem sie herausfinden, inwiefern beispielsweise die mittelhochdeutsche Liebeslyrik Antworten auf heutige Debatten um toxische Männlichkeit liefert. In Gesprächen mit Kolleg*innen habe ich gemerkt, dass manchmal die Sorge da ist, damit quasi zu viel von den eigenen Fachinhalten streichen zu müssen. Ich bin davon überzeugt, dass ein Seminar viel dadurch gewinnt, wenn ich mittelalterliche Schönheitsideale nicht isoliert betrachte, sondern begleitend dazu mit den Studierenden Ausschnitte von GNTM bespreche oder gemeinsam mit ihnen herausfinde, was „Bold Glamour“ bedeutet. Ich möchte hier übrigens nicht darauf hinaus, ein ganzes Seminar zu verändern – ich glaube, dass schon kleine Dinge einen großen Unterschied machen können. Mein Weg ist sicherlich auch nicht ideal, ich möchte lediglich das Nachdenken darüber anstoßen, die Lebensrealität der Studierenden stärker zu berücksichtigen, weil ich davon überzeugt bin, dass so viel Interesse für das eigentliche Fach geweckt werden kann.
Zum Schluss muss ich glaube ich nicht ausführlich betonen, dass ich mir durchaus bewusst bin, dass all meine Ideen immer auch eine Ressourcenfrage sind und mein Weg einer von vielen ist. Ich hoffe, dass dieser Beitrag als Nachdenken darüber verstanden wird, wie Lehrende und Studierende wieder etwas näher zusammenrücken können und wie wir mehr Menschlichkeit in dieses System Hochschule hineinbekommen. Liebe Studierende: bitte bleibt neugierig, beteiligt euch, diskutiert mit. Eure Perspektive ist wertvoll.